Buchbesprechung: "Marianna v. Klinski-Wetzel/Gerhard Mieth: Wildpark West a. d. Havel" im "Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte" Berlin 2009

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Buchbesprechung: Marianna v. Klinski-Wetzel/Gerhard Mieth: Wildpark West a. d. Havel

Von Günter Nagel

Der Gallin, seit 1928 Wildpark-West genannt, ist ein relativ kleines Gelände gegenüber der Insel Werder am rechten Havelufer. Im Norden wird es im Wesentlichen von der Eisenbahnlinie Potsdam-Werder-Brandenburg a.d.H. und im Osten vom Werderschen Damm (Straße nach Eiche und Golm) begrenzt. 1926 wurde die Größe amtlich mit 166 Hektar (650 Morgen) angegeben. „Hier auf dieser kleinen Sandscholle“, so heißt es im Vorwort, „ist zu keiner Zeit ein kulturhistorisches Bauwerk errichtet worden. Hier stand nie eine Kirche oder eine Burg, es gab hier nie ein Schloss – so konnte nicht einmal eine denkmalwürdige Ruine diese Landschaft zieren, an der man sich bei der Erforschung der Ortsgeschichte hätte orientieren können“. Angesichts dieses ernüchternden „Eingeständnisses“ kann schnell Verwunderung aufkommen, wie dem Gallin ein solch umfängliches Buch gewidmet sein kann. Aber, wie so oft: Die historische Forschung der beiden Autoren hat in Archiven und im Schrifttum Überraschendes in großer Zahl gefunden. Das kleine Fleckchen brandenburgischer Erde ist durch unzählige Fäden und Ereignisse weit stärker mit märkischer Geschichte verflochten, als man annehmen könnte. Wahrscheinlich machte diese Erfahrung auch Gerhard Mieth, als er 1986 begann, sich mit dem Gallin zu befassen. Anlass für ihn war die Suche nach Material, weil damals die 1000-Jahr-Feier in Geltow auf der Tagesordnung stand und solide Auskünfte zur Chronik gefragt waren. Nach etwa zehn Jahren füllten seine Ergebnisse bereits zwölf Aktenordner; 2004 begann die Idee eines ursprünglich gar nicht geplanten Buchprojektes langsam Gestalt anzunehmen. Mieth war es jedoch nicht mehr vergönnt, dessen Vollendung zu erleben. Er verstarb am 7. Mai 2005. Marianna von Klinski-Wetzel setzte die Arbeit fort, füllte weitere acht Aktenbände und gab im September 2007 das Buch im Eigenverlag heraus. Der Erstauflage folgte im Juli 2008 eine 2., erweiterte Fassung, die u. a. zahlreiche Leserhinweise und zusätzliche Forschungsergebnisse aufnahm.

Das Buch ist gegliedert in die beiden Teile: „Der Gallin bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts" (mit neun Kapiteln), „Sonderthemen“ (mit drei Kapiteln). Schon die Kapitelüberschriften weisen auf die oben angemerkten Fäden hin, die den Gallin mit seinem Umfeld verbinden, was angesichts der räumlichen Nähe zu Potsdam-Sanssouci, zum Wildpark oder zu Werder a.d.H. nur natürlich ist. So finden wir denn im Teil l Beschreibungen über die Beziehungen zum havelländischen Golm am Zernsee oder zum Kloster Lehnin, über die Ansiedlung Schweizer Kolonisten (1686) auf dem Gallin, im Golmer Bruch, in Nattwerder und Neu-Töplitz (nördlich bzw. nordwestlich bei Golm). Auf dem Gallin ereigneten sich ab 1729 königliche Parforcejagden, das Vorwerk Gallin belieferte ab 1750 das Potsdamer Militärwaisenhaus, die Potsdamer Fleischer-Innung pachtete um 1800 Weideflächen auf dem Gallin, 1864 kaufte das preußische Königshaus den Gallin und schlug die Neuerwerbung dem Krongut Bornstedt zu. Der Leser wird schnell herausfinden, das dies nur beispielhafte Aufzählungen sind. Mit der Trennung vom Krongut Bornstedt im Jahr 1926 begann jener Zeitabschnitt des Gallin, den der heutige Besucher sofort augenscheinlich wahrnimmt: Die Bebauung mit Wohnhäusern, teils ansehnlichen Villen, die Anlage von Straßen und Wegen sowie die Schaffung anderer Bestandteile einer modernen Infrastruktur. Über eine Garten- und Landschaftsgestaltung des Gallin dachte schon 1872 Hermann Sello nach, der dazu mehrere schöne Zeichnungen hinterließ (abgebildet S.420/1). Doch dabei blieb es. Erst 1927 begannen ernsthafte Planungen für eine Villenkolonie, die sich über mehrere Jahre hinzogen, unterschiedliche Konzepte verfolgten, jedoch nur in bescheidenem Maße ab 1933 umgesetzt wurden. Auch danach gab es ehrgeizige Erschließungsabsichten, die schnell reduziert wurden, wahrscheinlich auch deshalb, weil, bedingt durch die Lage, die Verkehrsverhältnisse nicht befriedigten.

Die Sonderthemen im Teil 2 sind der „Bootswerft Görrissen, Haus Gallin“, der „Geschichte vom Entenfangetablissement“ und dem „Königlichen Wildpark, Jagdgebiet der Hohenzollern“ gewidmet. Das Quellen- und Literaturverzeichnis belegt noch einmal die solide, akribische Erhellung der Geschichte des Gallin. Eine wissenschaftliche Abhandlung, wie sie evt. dem gestandenen Historiker vorschwebt, hatten die Autoren jedoch nicht im Sinn. Frau von Klinski-Wetzel weist bereits einleitend darauf hin, jedes Kapitel wurde so gestaltet, dass „der Leser in jedem der Kapitel zu lesen beginnen könnte. Das detaillierte Inhaltsverzeichnis soll ein Wegweiser sein, sich die Themen in den einzelnen Kapiteln herauszusuchen.“ Mit dieser nicht gerade üblichen Strukturierung kann man sich jedoch schnell anfreunden. Eigenartig blass ist der Zeitabschnitt des Nationalsozialismus gefasst. Hier bleibt Wichtiges offen: Wie veränderte sich das Leben der Bewohner des Gallin? Welchen Einfluss hatte das nationalsozialistische Herrschaftssystem? Wurden jüdische Mitbürger vertrieben? Siedelten sich Nazi-Größen an? Wie wirkte sich der Bau des Luftwaffenobjektes Geltow aus? Diese Frage sollte übrigens auch für die DDR-Zeit gelten, als in Geltow das Kommando Landstreitkräfte der NVA seinen Sitz hatte und hohe Militärs in Wildpark-West wohnten.

Diese kritischen Anmerkungen beeinträchtigen jedoch nicht im Geringsten den hohen Wert des Buches als eines speziellen Beitrags zur märkischen Geschichte im Weichbild Potsdams.

[Die Geschichte der Wiese Gallin. 2. erw, Aufl. Schwielowsee: Selbstverlag 2008, 581 Seiten, 147 s/w Abb., 19 farbig.]

Im ´JAHRBUCH FÜR BRANDENBURGISCHE LANDESGESCHCHTE´, 60. Band, herausgegeben im Auftrag der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e. V. (gegr. 1884) von Lorenz Friedrich Beck, Felix Escher und Eckart Henning, Berlin 2009.

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